Berlin, du hast mich verletzt / Ein anderes Berlin ist möglich

Vor

So wie Berlin im Sommer und im Winter zwei verschiedene Städte ist—die eine grün und einladend, die andere grau und zurückhaltend—kann die radikale linke Bewegung in Berlin ein schöner, aber rauer Ort sein. Es gibt mehr Besetzungen und Küfas als wir zählen können, jede Nacht der Woche ist etwas los, und wir können Antifas in jeder Ecke und Winkle der Stadt entdecken. Aber so lebendig sie auch sein kann, sie kann auch zu enormen Verletzungen und Elend führen.

Die Bewegung kann für einige einladend sein, andere aber ausschließen, die eine enthusiastische Begrüssung ebenso verdient hätten. Manchmal kommt dies völlig unerwartet, aber manchmal können wir es kommen sehen, weil wir irgendwie „anders” sind. Vielleicht sprechen wir gar kein Deutsch (oder nur „nicht so gut”), vielleicht kommen wir aus einem Teil der Welt mit einer anderen radikalen Geschichte oder auch nur anderen kulturellen Normen. Vielleicht sind wir hier geboren und aufgewachsen, aber wir entsprechen nicht dem Stereotyp, wie ein Linker „sein sollte.” Die Kluft zwischen der Erwartung, akzeptiert zu werden, und der Realität, weggestoßen zu werden, kann bei all dem Gerede über Gemeinschaft und Vielfalt erschütternd sein.

So ausgeschlossen zu sein bedeutet, dass wir oft das Gefühl haben, keine Stimme zu haben, und diese Zine soll ein Ventil bieten, eine Möglichkeit, etwas mitzuteilen, was wir unbedingt ausdrücken wollen. Hier sind die Geschichten und Erfahrungen von Menschen gesammelt, die—auf die eine oder andere Weise—die Stadt nicht so einladend finden, wie sie es gerne hätten. Jeder von uns hat schon einmal die Klagen über die Szene, Cliquen und Einzelpersonen gehört, und obwohl diese ein notwendiger Teil der Veränderung unserer Beziehungen sind, geht dieses Zine auch über das Schimpfen hinaus. Jede:r Autor:in, der:die etwas über die Schmerzen, die er:sie empfunden hat, oder die Beschissenheit innerhalb der Bewegung geschrieben hat, wurde gebeten, einen zweiten Text zu schreiben, der konkrete Vorschläge macht, wie die Dinge ein bisschen freundlicher oder weniger problematisch sein könnten.

Wir bleiben hier, weil wir so sehr hier sein wollen, aber manchmal tut es uns weh, wenn wir versuchen, Teil der radikalen Bewegung hier zu sein. Wir—du, uns, alle anderen—können besser sein. Die Dinge können besser werden. Wir müssen uns nur ändern wollen, wir müssen sehen, was falsch ist, und wir müssen uns vorstellen, wie diese bessere Welt aussehen könnte.

Berlin, du hast mich verletzt

Die ungeschriebenen Gesetze

Hi, ich bin eine Anarchaqueerfeministin aus russland. Für mich sind im Wort Anarchaqueerfeminismus alle drei Komponenten gleich wichtig. Queerfeminismus ohne Anarchismus, Anarchafeminismus ohne Queer—all das finde ich unzureichend und inkomplett.

In russland habe ich bei langen aktivistischen Projekten mitgemacht, die auf der klugen Sprache Infrastukturprojekte genannt werden, aber auch bei direkten Aktionen. 2018 zog ich nach Berlin voller Hoffnung, dass sich meine Radikalität im aktivistischen Berlin austobt und dann weg war ich auf Plena und Demos. Zeitlich fiel meine Auswanderung mit dem Fall „Netzwerk” zusammen, in welchem 8 Anarchisten aus Petersburg und Pensa für Terrorismus festgenommen wurden. Unter ihnen war ein guter Genosse von mir—wir hatten zusammen Demos organisiert und gehörten zum selben Kollektiv.

Doch in Berlin stieß ich in der aktivistischen Szene gegen totale Gleichgültigkeit, gegen eine Wand, als ich immer wieder vorschlug, eine Veranstaltung zu machen und vom Fall zu sprechen. Niemensch kannte mich und niemensch wollte mir zuhören. Einmal waren Menschen in einem besetzten Raum bereit, mir das Wort zu geben, weil sie sonst ein Loch in ihrem Kulturprogramm hatten, aber dann wurden sie geräumt, die Veranstaltung wurde verschoben, und es kam kein Mensch. Keine einzelne Person.

Nach einem Jahr wurde mir klar, dass mensch in der Berliner Szene gar nicht wahrgenommen wird, solange mensch keine Referenzen hat, keine Freund:innen, die eine:n mitnehmen und den richtigen Menschen vorstellen können. Doch wo finden Migrant:innen solche Kontakte? Die radikale linke Szene besteht aus Symbolen, Taktiken, Regeln, und wenn du das alles nicht kennst (woher sollst du es auch?), dann kannst du nie die Szene beitreten.

Ein Jahr nachdem ich nach Berlin kam, fand ich einen Job in einem linken Kollektiv. Ich war dort zu dem Zeitpunkt die einzige Migrantin. Und natürlich als Migrantin wurde ich nicht gefragt, woher ich komme. Das haben Deutsche gut gelernt! Das ist doch unanständig, das ist falsch! Anscheinend versteht niemensch wieso und was hinter dieser Frage steckt. Alle haben es als Wahrheit hingenommen, dass sie Menschen nicht fragen sollen, woher die Menschen kommen. Und um sicher zu gehen haben sie GAR NICHTS gefragt! Nicht nach meinen Interessen, oder was ich so früher gemacht habe, oder was für einen linken radikalen Aktivismus früher mein Leben dargestellt hat. Oder wer ich überhaupt bin. Dafür scheuten sie sich nicht, mir Ratschläge zu geben, wie meine Tochter (damals 10 Jahre alt) am schnellsten Deutsch lernt. Als ob Deutsche, die ihr ganzes Leben in deutschland verbracht haben, eine Ahnung davon hätten, wie Migration erlebt wird.

Und obwohl Deutsche auch gelernt haben, dass das Wort „Integration” nicht so cool ist, obwohl manche es gar nicht erst benutzen, ist das Wort an sich nicht das Problem. Das Problem ist, dass Berliner radikale Linke von radikalen linken Migrant:innen verlangen, dass sie sich integrieren. Genauso wie die deutsche Gesellschaft dasselbe verlangt. Als ob meine mehrjährige Erfahrung anarschaqueerfeministischer Kämpfe hier plötzlich nicht mehr gelten würde, als ob meine Erfahrung nicht gut genug, nicht richtig genug, einfach nicht genug wäre, um hier eine:n zu interessieren. Das ist ja der Kern der Integration: Verzicht auf die eigene Erfahrung, auf das eigene Wissen, auf alles, was anders ist. Mensch soll den aktivistischen Jargon lernen, fremde Probleme als eigene hinzunehmen und die eigenen vergessen.

Fast alle radikalen Linken in Berlin meinen, in allem Expert:innen zu sein! In allen Fragen über die ganze Welt—Lateinamerika, Nordamerika, Asien, Afrika—alle haben auf jede Frage eine fertige Antwort. Es scheint, als ob sie allgemeine Expert:innen seien, doch wenn du einer anderen Meinung bist, dann gehörst du nicht dazu. Wenn du aber was zu sagen hast und vor allem Kritik hast in Bereichen, in welchen du tatsächlich Expert:in bist, dann wirst du bestenfalls nicht gehört und schlimmstenfalls ausgeschlossen. Ich konnte es sehr stark mit dem Beginn russlands Angriffskriegs gegen Ukraine spüren. Meine Worte waren nichts wert und die Worte einer Anarchistin aus Kyjiw waren auch nichts wert—die deutschen radikalen Linken waren absolut sicher, dass sie alles wissen! Von Asow, von Nationalist:innen, von Donbas. Wobei sie weder Russisch noch Ukrainisch lesen können. Wobei sie nicht mal darüber reflektieren können, dass Ukraine mit einem Artikel zu benutzen oder russische Transkriptionen für ukrainische Städte zu benutzen (Kiew statt Kyjiw, Odessa statt Odesa) einfach nur heißt, von der imperialen Sprache abzuschreiben. Ich benutze keinen Artikel mit Ukraine und nicht einmal wurde ich gefragt wieso. Klar, wer soll mich auch fragen, wenn Deutsch nicht meine Muttersprache ist.

Mein Schock ist noch frisch in meinem Kopf, als ich 2018 nach deutschland kam und von deutschen Linken ihre Meinungen zum Krieg in Ukraine hörte. Geschockt war ich davon, wie tief russische Propaganda in der deutschen linken Szene verwurzelt ist. Alle wussten von Asow, doch keine:r wusste was von Russitsch oder der Imperialen Legion, den rechtsradikalen Neonazigruppen, die auf der Seite russlands kämpften. Tatsächlich konnte mensch einen russischen Propaganda-Bingo sammeln, wenn mensch mit einer Gruppe radikaler Linken in Berlin redete! Vor allem waren sie absolut von der eigenen Expertise überzeugt!

Noch etwas bisschen Lustiges zum Thema Sprache. Ich habe Deutsch als erste Fremdsprache gelernt. Als ich nach deutschland gekommen bin, sprach ich schlecht Englisch und gut Deutsch. Doch wiederum haben radikale Linke gelernt, dass Migrant:innen in der Regel Englisch besser als Deutsch können. Wenn sie verstanden, dass ich Migrantin bin, wechselten sie oft ins Englische. Einfach nur so. Es ist erniedrigend und verletzend, weil ich 10 Jahre meines Lebens dabei verbracht habe, Deutsch zu lernen, und nur weil ich Fehler mache und einen Akzent habe, meinen Menschen, dass es nicht gut genug ist? Das Englisch besser wäre? IHR KÖNNTET DOCH FRAGEN!

Deutsche in der deutschen radikalen Szene haben viele Regeln gelernt, doch gelernte Regeln passen nicht allen und machen viel Schmerz denjenigen, an wen sie angewendet werden, wenn hinter diesen Regeln keine Reflexion und kein Verstehen steckt.

Ich bin mir im Klaren darüber, dass dieser Text nicht so geschrieben ist, wie es in der deutschen radikalen Szene üblich ist. Kritik soll dem allgemeinen Gebrauch nach mit Kissen belegt werden, sie soll sanft und mit einem netten Lächeln ausgesprochen werden. So viel habe ich nach 4 Jahren in deutschland gelernt. Aber sorry, ich habe keinen Bock, mich zu integrieren, weder in die deutsche Gesellschaft noch in die deutsche radikale linke Szene. Klar, mir sind in den 4 Jahren auch solidarische Genoss:innen begegnet. Doch das sind Einzelfälle, die zwar einer:einem das Herz erwärmen, doch ich bin mir sicher, dass eben diese Menschen diesen Text lesen können, ohne sich davon verletzt zu fühlen, dass es hier keine Kissen gibt.

Sind meine Klamotten nicht punk genug?

Ich wurde in einer Arbeiterfamilie im postindustriellen, Maggie-Thatcher-geprägten Manchester geboren. Ich wuchs in einer Sozialwohnungssiedlung auf, mit Spielkamerad:innen aus vielen verschiedenen Gesellschaftsschichten, viele aus Familien, die an der Armutsgrenze lebten. Als erste in meiner Familie ging ich an die Uni, studierte Politik und Deutsch (und zahle noch immer meine Studienschulden ab!) und zog schließlich 2010 mit 23 Jahren nach Berlin.

Obwohl ich Publikationen wie den Socialist Worker abonnierte, Bücher über Armut, soziale Ungleichheit und Klasse las (sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch), Marxismus-Konferenzen besuchte und an Demonstrationen gegen Haushaltskürzungen teilnahm, fühlte ich mich in der Berliner linken Szene irgendwie nie „willkommen.“ Wenn ich zu den KüfAs (Volksküchen) kam und mit meinen Freunden, die sich mir anschlossen, in meiner Muttersprache (Englisch) sprach, hatte ich das Gefühl, dass ich als reicher Ausländer, der nach Berlin kommt, kein Deutsch spricht und die Stadt gentrifiziert, stereotypisiert wurde.

Um meine Miete zu bezahlen, arbeitete ich in diesen ersten Jahren in Berlin als Sekretärin, ein Job, den ich hasste, der aber gut bezahlt wurde. Ich habe das getan (und tue es immer noch), was ein Mensch der Arbeiterklasse tut: Ich habe gearbeitet. Vielleicht war es meine eigene Unsicherheit bezüglich meiner Identität, aber ich hatte in linken Kreisen ständig das Gefühl, dass ich mich rechtfertigen musste, warum ich arbeitete, warum ich mich nicht voll dem Aktivismus widmete, warum ich zum Kapitalismus beitrug.

Die Berliner linke Szene (man denke nur an die besetzten Kneipen in Friedrichshain und an die Orte, an denen man Exemplare von StressFaktor herumliegen sieht) scheint Solidarität, internationales kollektives Handeln und „keine Grenzen“ zu fördern, und doch habe ich mich ständig von ihr entfremdet gefühlt. Ich habe mich oft gefragt: Sind meine Klamotten nicht punk genug? Ist mein Haar zu „normal?“ Liegt es daran, dass ich nicht rauche?

Für mich fühlt sich die Berliner linke Szene wie eine exklusive Community an, zu der man nur gehört, wenn man beweisen kann, dass man links genug ist, um dazuzugehören.

Nie genug und nichts dazwischen: Eine queer-anarchistische, südeuropäische Perspektive auf die Berliner linksradikale Szene

Ich lebe jetzt seit ein paar Jahren in Berlin und kann sagen, dass ich mich endlich als Teil der linksradikalen Szene der Stadt fühle. Nicht Teil einer Gemeinschaft, auch nicht einer Bewegung, aber einer Szene. Eines sehr fragmentierten, sehr heterogenen Umfelds, in dem ich eine Nische für meinen politischen Aktivismus und meine persönliche Entwicklung gefunden habe. Und das war nicht einfach. Sofort wurde ich mit kalten, misstrauenden und herablassenden Blicken derer konfrontiert, was ich zunächst als eine Art „linksradikale Elite“ verstand—nämlich die Leute, die die Kontrolle über autonome Räume, besetzte Häuser, Off- und Online-Strukturen haben, die für die Vernetzung, Aktionen und langfristige Organisierung wesentlich verantwortlich sind. Diese Räume sind oft geschlossen und für Außenstehende, insbesondere für Migrant:innen, unzugänglich. Ich verstehe, dass dies auch eine Frage der Sicherheit ist, aber gleichzeitig wirkt es wie eine uneinnehmbare Festung, zu der man erst Zugang hat, wenn man den eigenen Wert und Nützlichkeit beweist. Aber wer entscheidet, wer es wert ist, Zugang zu diesen Räumen zu erhalten? Wer wird als nützlich erachtet?

Es gibt einen ständigen dringenden Ruf nach radikalen Maßnahmen, ohne dass die Menschen Zugang zu vielen dieser Strukturen haben, um auf sichere und effektive Weise zu handeln. Dadurch geht so viel Potenzial verloren. „Ihr MÜSST sofort gegen Gentrifizierung, Kapitalismus, Polizei und rechtsextreme Bewegungen vorgehen, aber erwartet nicht, dass wir euch unsere Werkzeuge, Räume und unser Wissen zur Verfügung stellen. Und erwartet nicht von der älteren Generation, dass sie euch hilft oder sich um euch kümmert. Entweder bist du einer von uns oder du bist es nicht. Dazwischen gibt es nichts. Viel Glück, ihr seid auf euch allein gestellt.“ Diese Fixierung auf Militanz ohne die notwendigen Instrumente für die Sicherheit hat nur zwei mögliche Ergebnisse: Menschen fühlen sich schuldig und sind frustriert, weil sie nicht in der Lage sind, genug zu tun, oder sie werden zu unsicheren Aktionen gedrängt, bei denen sie sich Schaden und Repression aussetzen.

Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren unzählige Menschen (hauptsächlich cis Männer) als Täter:innen sexueller und patriarchaler Gewalt geoutet wurden, wodurch ich mich noch unsicherer fühle und niemandem mehr vertrauen kann. Für welche Strukturen setze ich meine Sicherheit aufs Spiel und gebe ihnen meine Zeit und Energie? Was ist, wenn die Projekte, in denen ich aktiv bin, Täter:innen beherbergen, die anderen Menschen Schaden zufügen? Was ist, wenn meine Freund:innen und ich ihre nächsten Opfer sind?

Das ist eine ganz andere Erfahrung als die, mit der ich aufgewachsen bin. Ich wurde in einem autonomen Zentrum in Südeuropa politisch sozialisiert, wo ein großer Schwerpunkt auf der Einbeziehung und Unterstützung von Menschen außerhalb unseres besetzten autonomen Zentrum lag, insbesondere von Flüchtlingen, Migrant:innen und Nicht-Radikalen. Wir haben immer versucht, verschiedene Arten von Kämpfen miteinander zu verbinden, indem wir Menschen mit gemeinschaftsbasierten Aktivitäten zusammengebracht haben: Essen, Konzerte, Sport, Workshops, Buchlesungen—nicht für eine kleine Gruppe von Menschen, sondern für die ganze Gemeinschaft. Vor allem aber haben wir uns umeinander gekümmert, vor allem um die Jüngeren. Ich gehörte nicht zu den Aktivsten, aber alles, was ich tun musste, um mitzumachen, war, zu fragen, ob sie Hilfe beim Abwaschen oder Bodenwischen brauchten, und zum Plenum zu kommen.

Ich war also ziemlich überrascht, als ich nach Berlin kam und das Gefühl hatte, ich müsse mich erst „bewähren“ und das Vertrauen der Leute gewinnen, bevor ich etwas tun konnte. Und jetzt, nach unzähligen Demonstrationen, Aktionen, veröffentlichten Texten und Flyern, Küfas und Veranstaltungen, habe ich mich bewährt, aber die Szene ist immer noch kalt, misstrauisch, hart und unversöhnlich. Vor allem die linksradikale queere Szene. Vor allem, wenn man ein:e Migrant:in ist.

Es fühlt sich so an, als ob wir nie genug tun und alles, was wir tun, falsch ist. Jeder Schritt, den wir machen wird scharf kritisiert. Die Menschen sind so polarisiert, dass sie nach der Logik „entweder bist du für uns oder gegen uns“ handeln und alles, was von dem Weg abweicht, den sie für „richtig“ halten, muss schädlich sein und angeprangert werden. Dazwischen gibt es nichts. Es ist wichtig, für das einzutreten, was wir für richtig halten, und keine Toleranz gegenüber Diskriminierung zu zeigen, aber in dieser Schwarz-Weiß-Sicht auf die Welt gehen alle Nuancen verloren. Und mit ihnen verlieren wir auch die Chance, voneinander zu lernen.

Ich spreche von der Spaltung in Bezug auf den palästinensisch-israelischen Konflikt, Diskussionen über Rassismus, Kolonialismus und Antisemitismus, FLINTA Menschen und cis Männer, nationale Identität und staatsfeindliche Tendenzen, Reformismus und radikale Aktionen und so weiter. Überall, wo ich hinschaue, scheint es eine Kluft zu geben, bei der man sich für die „richtige“ Seite entscheiden muss und die Konsequenzen zu tragen hat, wenn man sich versehentlich für die „falsche“ Seite entscheidet, d.h. Ausgrenzung, Lügen und Ächtung. Kleine Erkenntnis: Man wird sich immer für die falsche Seite entscheiden (da man nicht mit jeder:m übereinstimmen kann) und schließlich dafür leiden, dass man an seiner eigenen Meinung festhält und Rückgrat hat, sie trotzdem zu verteidigen.

Ich habe das Gefühl, dass viele dieser Konflikte bei Menschen, die in ihrem Leben mit Diskriminierung konfrontiert sind, Traumata auslösen, und es ist durchaus nachvollziehbar, wenn sie emotional oder mit Wut reagieren. Dennoch müssen wir verstehen, dass Trauma-Reaktionen kein nachhaltiger Weg sind, um mit politischen Konflikten langfristig umzugehen. Genauso wenig, wie Menschen öffentlich zu beschämen oder sie mit Lügen und Gerüchten in den Dreck zu ziehen, weil sie eine etwas andere ideologische Haltung haben, und jede Gruppe zu verurteilen, die mit ihnen zusammenarbeitet, um sie politisch zu isolieren. Ich habe Leute erlebt, die das getan haben (bewusst oder unbewusst), um sich oder ihre Gruppe auf ein ideologisches Podest zu stellen und anderen ihre eigene politische Reinheit zu beweisen. Und das ist ekelhaft. Und es brennt die Leute aus und traumatisiert sie bis zu einem Punkt, an dem sie aus dem Aktivismus aussteigen müssen. Das ist nicht die Szene oder Gemeinschaft, der ich angehören möchte.

Der unsichtbare Nationalismus der radikalen Linken

Ich bin ein Anarchist und lebe seit 2014 in Berlin. Ich war in einer Reihe von bestehenden Kollektiven aktiv, die Dinge vom klassischen Antifaschismus bis zur Mutual-Aid tun. Ich bin, wie viele andere in Berlin, ein ewiger Außenseiter. Ich komme nicht aus Berlin, nicht aus der BRD. Ich spreche die Sprache kompetent und habe die meiste Zeit meines erwachsenen Lebens hier gelebt, aber ich bin nicht—und werde es auch nie wirklick sein—einer von euch.

Es gibt einen Kern—oder vielleicht eine kleine Anzahl von Kernen—der linksradikalen Szene in Berlin, die sich hauptsächlich um die Wohnprojekte und sozialen Zentren dreht. Die alte Garde, die Stammesältesten, die Eliten. Wir könnten ihnen viele Namen geben. Sie haben oft eine übergroße Kontrolle über den Rest der Szene, was aus der Idee zu kommen scheint, dass „da waren sie, Alta.” Sie waren in der Blütezeit des Berliner Radikalismus dabei, sie waren da—und sind die Fortsetzung—der Art von militantem Autonomismus, der uns diese Hausbesetzungen beschert und die antifaschistische Szene geprägt hat. So sagen die Legende.

So wie die Menschen, die im deutschen Staat aufgewachsen sind, darüber sprechen, vor allem die weißen Nichtjuden, ist die Vergangenheit für immer in ihnen verankert. Der Nationalsozialismus und die sowjetische Herrschaft haben Narben in ihrer DNA hinterlassen, und deshalb können sie unanfechtbare Wahrheiten darüber aussprechen, was es bedeutet, Nationalismus, Antisemitismus und Autoritarismus zu bekämpfen. Aber diejenigen, die keine Deutschen sind? Wir können es nie wissen. Weil unsere Großeltern nicht unter dem Nazi-Regime gelebt haben, weil unsere Eltern nicht von der Stasi überwacht wurden, wie können wir da wirklich wissen, wie es ist und welche Art von Widerstand wirksam ist?

Ich bringe, wie viele andere Migrant:innen auch, die Erfahrung aus meiner Heimat mit. Die Dinge sind dort anders, und ich mache mir keine Illusionen darüber, dass das, was dort, woher ich ausgewandert bin, funktioniert hat, hier nicht genauso funktionieren wird. Ich weiß, dass die Kultur, die Geschichte und die Strukturen in den beiden Gebieten unterschiedlich sind. Aber wenn ich Vorschläge mache, die man abwandeln oder anpassen könnte oder die einen Einblick in einen analogen Kontext geben könnten, werde ich abgewiesen.

„Das ist hier nicht so.“

„Das machen wir hier nicht.“

„Das würde hier nicht funktionieren.“

Es gibt keinen Raum für Meinungsvielfalt, es sei denn, die Gruppe besteht mehrheitlich aus Nicht-Deutschen, und selbst dann muss die Mehrheit so viel Druck ausüben, um die wenigen Deutschen zum Einlenken zu bewegen. Ich bin es leid, das Gefühl zu haben, dass ich hier nur dem deutschen Beispiel folgen soll, dass meine Meinung und meine Ideen als Nicht-Deutscher nie wirklich zählen werden. Trotz des ganzen Parolen über Immigrant:innen und Flüchtlinge, trotz der vielen Aufkleber und T-Shirts mit der Phrase „No Borders” hat sich die radikale Linke in Berlin nicht um all die Immigrant:innen gekümmert, die versuchen, sich hier ein Leben aufzubauen.

Und viele von uns verlassen Berlin für immer, fühlen sich deprimiert und abgelehnt.

Eine zerstrittene Community

Berlin, du hast mich verletzt. Du hast mich verletzt, als ich mein Bestes tat. Du hast mich verletzt, als ich nicht verstand, worin mein Fehler lag und ob er wirklich meiner war. Du hast mich verletzt, als du meine Stimme zum Schweigen brachtest. Du hast mich verletzt, als du eine marginalisierte Gruppe zugunsten einer anderen ablehntest.

An einem Herbstabend letztes Jahr stand ich, Mikrophon in der Hand, vor eine Menge aus 120 Gästen. Mein Herz raste. Seit langem hatte ich mich nicht mehr so gefürchtet wie in diesem Moment, nicht, weil mich so viele Augenpaare anschauten, sondern wegen dem, was ich mir fest vorgenommen hatte zu sagen. Ich wollte ein schier unantastbares Thema ansprechen: Palästina.

Warum kann es sich so gefährlich anfühlen, in einem Raum voller angeblich Gleichgesinnter eine Meinung auszudrücken? Diese Menschen waren gekommen, weil sie dieselben grundsätzlichen Überzeugungen teilten wie ich. Fragt man verschiedene linke Gruppen nach ihren Werten, ist einer der kleinsten gemeinsamen Nenner dieser: Niemand sollte ungerecht behandelt werden. Niemand sollte ohne Grund seiner Freiheit und Würde beraubt werden. Und doch erstarrt die Luft zu Eis, wenn man Israel-Palästina anspricht. Plötzlich scheint allen wieder meine arabische Herkunft einzufallen, und Misstrauen macht sich breit.

Ich kann ja gar nicht unvoreingenommen sein, meiner Herkunft wegen, lautet der implizite und manchmal auch explizite Vorwurf—ein Vorwurf, der immer von Deutschen kommt. Wer ist hier vorbelastet und aus welchen Gründen?

Warum rast mein Herz, wenn ich mich auf die Bühne stelle und für Solidarität mit Palästina eintrete—eine politische Meinung, für die ich Duzende Quellen gelesen, Videos geschaut, Unterhaltungen geführt habe? Mehr wahrscheinlich als die meisten, die mir abschätzig widersprechen?

Viele Deutsche haben so sehr Angst, als antisemitisch rüberzukommen, dass sie jegliche Kritik am Staat Israel—einer nationalen Institution, die nicht mit dem oder den jüdischen Volk/Völkern gleichgesetzt werden kann—dass sie antiarabischen und anderen Rassismus reproduzieren. Diese Angst vor Kritik an Staat Israel schadet absurderweise wiederrum jüdischen Menschen, die sich gegen die Apartheidspolitik einsetzen. 2016 und 2019 wurden mit Verweis auf ihre Verbindung zur BDS-Bewegung zum ersten Mal seit der Nazizeit das Bankkonto einer jüdischen Gruppierung geschlossen.. Jewish Voice for Peace, der Jüdische Bund, Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost—wenn man jüdische Stimmen im Namen des Anti-Antisemitismus unterdrückt und ausschließt, dann zeigen sich vollständig die Neurosen der deutschen Linken.

Neben diesem speziellen Themenfeld neigt die Berliner Linke auch zu einem umfassenden Problem, dem der Machtkämpfe innerhalb verschiedener Gruppierungen. Oft verlaufen diese Kämpfe entlang als zweidimensional dargestellter Spektren der Identität, wobei Identität über Handlungen gestellt wird. Eine Person mit chronischer, aber unsichtbarer Krankheit wird als weniger radikal eingeordnet als eine Person mit sichtbarer Behinderung. Wenn ich einer Transfrau in queeren Themen widerspreche, bin ich transphob, egal, was der tatsächliche Inhalt meiner Aussage war, egal, wie andere Intersektionen der Identität das Thema beeinflussen, egal wie mein anderes Verhalten ist, egal wie lange wir schon Seite an Seite schreiten.

Wir könnten uns auf die Suche nach der am meisten marginalisierten Person der Welt machen, und auch sie hätte nicht alle Antworten.

Wir haben die Bedeutung des Worts Solidarität verlernt. Sie beschreibt einen Zusammenhalt, der über kleine Streitereien hinausgeht. Der gegen einen gemeinsamen Gegner vereint oder eine gemeinsame Sache unterstützt, auch wenn man sich in andere Fragen uneins ist.

Zudem sind wir kollektiv besessen von einer Art moralischen Reinheit. Die sprichwörtliche weiße Weste ist das wichtigste Merkmal eines guten Kampfpartners, und diese gibt es nunmal nicht. Es ist ein Narrativ, das mich an posttraumatischen Stress erinnert—wenn ich nur nie Fehler mache, wird mir nie wieder etwas Schlimmes zustoßen. Es ist ein Versuch, die Kontrolle über eine Situation wiederzuerlangen, indem man äußere Faktoren völlig ausblendet und sich nur auf sein eigenes Tun und Denken fokussiert beziehungsweise auf das Tun und vermutete Denken anderer. Es gibt den perfekten Menschen, der nie Fehler macht und auch in der Vergangenheit nie welche gemacht hat, schlicht und ergreifend nicht. Wir wachsen alle in Kulturen auf, die diskriminieren. Es ist an uns allen, kollektiv und individuell, diese Diskriminierungen zu verlernen. Aber das ist kein einmaliger, linearer Prozess, und wir werden alle Fehler dabei machen.

Dieser Machtkampf, der Kampf um moralische Überlegenheit, lässt uns als Menschen keinen Raum zum Atmen. Jede:r hat mal einen Ausrutscher, ist in einer Disziplin nicht reflektiert, hat nicht alle Informationen. Es ist eine übernatürliche Anforderung, dies nie zu tun.

Absicht ist nicht das einzig Wichtige, aber es ist falsch, sie bei der Bewertung einer Aussage völlig außen vor zu lassen. Es macht einen Unterschied, ob jemand unüberlegt einen rassistischen Begriff wiederholt oder aktiv BIPoCs unterbricht, zum Schweigen bringt, ignoriert. Es macht einen Unterschied, ob Kritik angenommen und umgesetzt oder verworfen wird.

Ist es sinnvoll, alle Menschen aus einer Bewegung zu verstoßen, die bestimmte Überzeugungen nicht teilen? Ist Streit in der queeren Bewegung sinnvoll, weil nicht alle Menschen vegan leben? Ist es sinnvoll, gemeinsamen Handeln von einer langen Reihe an Anforderungen abhängig zu machen? Sich auf die Unterschiede anstatt die Gemeinsamkeiten zu fokussieren?

Einmal fragte ich eine Freundin, ob sie eine Awarenessschicht bei einem von mir organisierten queeren Event übernehmen könne. Sie zögerte.

„Ich bin weiß und hetero. Bin ich wirklich die richtige Person dafür?”

Diese Antwort zeigt, dass sie es war. Ich hatte sie nicht aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Hautfarbe um Hilfe gebeten, sondern weil ich um ihr Mitgefühl und ihr stets offenes Ohr wusste. Mit dieser Antwort bewies sie mir, dass sie sich ihrer Begrenzungen bewusst war. Und sie wusste, dass sie nichts alleine stemmen müssen würde, dass sie mich oder zahllose andere um Hilfe bitten könnte, falls eine Aufgabe ihre Kapazitäten überstieg.

Das ist es, was wir brauchen. Gemeinschaft über Identitätsgrenzen hinweg.

Ein anderes Berlin ist möglich

„Halt die Klappe und hör zu” funktioniert nicht

Ich habe mich mehrmals gefragt, was ich mir von der deutschen radikalen Szene generell wünschen würde, sowie auch in konkreten Situationen, wo ich mich ausgeschlossen gefühlt habe.

Ich bin sehr stark am Aktivismus interessiert, doch ich habe mich die ganze Zeit so gefühlt, als ob ich mit dem Kopf gegen die Wand laufen würde. Doch warum wurde ich nicht akzeptiert? Warum fühlte ich mich ausgeschlossen? Ich glaube, alle Kollektive haben mich als anders, als fremd wahrgenommen. Einerseits kannte ich die einfachsten deutschen aktivistischen Sachen nicht: gängige Abkürzungen, Namen von Bewegungen und Gruppen. Doch was denkt ihr, wie viel Mal kann eine neue Person, eine Migrantin, die als einzige im Plenum mit Akzent spricht, nachfragen: „Was ist das? Was bedeutet das?” Und das während desselben Plenums. Glaubt mir, nicht viel.

Andererseits habe ich mich ganz anders verhalten und die aktivistischen Codes nicht befolgt. Ich konnte, ich kann mich immernoch nicht so verhalten, wie es in der aktivistischen Szene in Berlin üblich ist. Diese ungeschriebenen Gesetze der Berliner linken Szene, die nie benannt, nie offen erklärt wurden.

Ich möchte die radikalen Linken dazu aufrufen, offen zu sein, Menschen mit anderen Erfahrungen zu akzeptieren, hereinzulassen, ihnen Fragen zu stellen. Glaubt nicht, dass der ganze Aktivismus in der ganzen Welt sich um deutschland dreht. Habt Verständnis dafür, dass Migrant:innen die Situation mit Abtreibungen in deutschland oder die Lage mit der Polizei und den Gesetzen vielleicht nicht kennen. Das macht sie nicht weniger radikal oder weniger links. Ihr sollt verstehen, dass euer Kampf nicht der einzige ist.

Wie oft bin ich in ein bestehendes Kollektiv zum ersten Mal gekommen und wurde nicht mal gefragt, wie ich heiße. Wie lange haben linke Radikalen mit mir Seite an Seite gearbeitet, ohne zu wissen, dass ich ein Kind habe, woher ich komme oder was ich studiere.

Wenn neue Menschen zu euch kommen, bietet ihnen doch an, mit euch mal rauchen zu gehen, zusammen nach der Veranstaltung zur U-Bahn zu laufen, einfach bisschen zu quatschen. Das ist ja so einfach! Und so notwendig für neue Menschen, die sich permanent fehl am Platz fühlen, unpassend und anders. Eben aus diesen kleinen Gesprächen können wir von Gesetzen erfahren, von der Lage mit der Polizei und mit Abtreibungen. Wir können dann nach Hause kommen und wissen, was wir denn lesen sollen, um zu checken, wofür ihr kämpft.

Viele Tatsachen nennt ihr üblicherweise Wissen, doch genauso, wenn ihr mit mir eine raucht oder nach der Veranstaltung bis zur U-Bahn lauft, könnt ihr etwas mehr erfahren, außer dass es in russland ein homofeindliches Gesetz gibt. Zum Beispiel könnt ihr erfahren, dass es Queers gibt, dass sie Communitys aufbauen, kämpfen, leben und nicht aufgeben, dass es queere Bars und Partys gibt. Sehr wahrscheinlich könnt ihr sogar erfahren, dass es in Ukraine nicht nur Nationalist:innen und Asow gibt, sondern auch riesengroße linke Netzwerke und Organisationen, anarchistische Strukturen, die jetzt gerade so sehr Unterstützung brauchen.

Reflektiert die Regeln, statt sie allzu sehr im Wortsinn zu verstehen! „Halt die Klappe und hör zu” funktioniert nicht, wenn ihr immer schweigt, wenn ihr keine Fragen stellt und kein Interesse zeigt. Dann gibt es für euch auch nichts zu hören. Dann schweigen wir und schweigt ihr, und zum Hören gibt es nichts. Scheut euch nicht, mit uns zu sprechen!

Eine Perspektive aus Großbritannien

Meine Erfahrungen mit linken Communities in Großbritannien waren ganz anders, mit einer viel inklusiveren, unvoreingenommenen Art Menschen willkommen zu heißen, die Neugier und Offenheit für die verschiedenen Perspektiven, die jeder Mensch mitbringt.

Das ist es, was ich mir für Berlin wünschen würde:

  • Mehrsprachigkeit: Texte für Veranstaltungen, Schilder, Publikationen etc. nicht nur in Deutsch, sondern auch in Englisch, vielleicht auch andere Sprachen je nach Veranstaltung.

  • Generationenübergreifend: Räume für Menschen verschiedener Altersgruppen, um zusammenzukommen und sich gegenseitig zu respektieren. Familienfreundliche Veranstaltungen, aber auch Räume, in die man seine Oma mitbringen kann.

  • Vielfältige Ausdrucksformen: Wie wäre es mit gemeinschaftlichen kreativen Abenden, Chören, die Volks- oder Protestlieder singen, Erzählcafés (ein Format, bei dem Menschen eingeladen werden, ihre Biografien zu erzählen), Amateurtheater?

  • Verspieltheit/Leichtigkeit: Aktivismus muss nicht immer eine ernste, düstere Arbeit sein. Wie wäre es, wenn wir uns auf spielerische Weise mit dem Thema auseinandersetzen und mehr Humor einbringen?

  • FRIENDLINESS: SEI VOR ALLEM EINFACH FREUNDLICH! Zeige den Menschen, denen du begegnest und mit denen du den Raum teilst, Freundlichkeit und Neugierde.

Etwas dazwischen

Die linksradikale Szene in Berlin fühlt sich oft beschissen an. Sie kann ein kalter und harter Ort sein, an dem wir ausgegrenzt werden, an dem wir herabgesetzt und ausgeschlossen werden, und an dem einige von uns sogar psychische und physische Gewalt erfahren. Ich frage mich oft, wie Menschen, die sich selbst als Antifaschist:innen, Feminist:innen und radikal bezeichnen, so handeln können. Aber es ist eine gefährliche Illusion, wenn wir uns für etwas Besseres halten als der Mainstream und glauben, dass wir die Machtverhältnisse, die unsere Gesellschaft durchdringen, nicht selber aufrechterhalten. Das bedeutet nicht, dass wir ständig die Schuldigen in unseren eigenen Reihen suchen müssen, denn irgendwann werden wir alle Mist bauen. Es geht darum, wie wir und unsere Genoss:innen reagieren, wenn wir damit konfrontiert werden. So anstrengend es auch klingen mag, wir müssen uns in einem ständigen Veränderungs- und Verbesserungsprozess befinden, damit unsere Szene und Gruppen aus den eigenen Fehlern lernen können.

In den folgenden Absätzen werde ich stichpunkartig einige Punkte auflisten, die meiner Meinung nach hilfreich sein könnten, um unsere Szene in einen angenehmeren Ort zu verwandeln, an dem respektvoller zwischenmenschlicher Umgang und Zusammenarbeit möglich sind und ein sichereres und effizienteres radikales Handeln und Mobilisierungen möglich werden.

Offene Räume, offene Köpfe

Strukturen, Räume und Ressourcen, die für Vernetzung, (direkte) Aktion, kurz- und langfristige Organisierung notwendig sind, sollten offener und zugänglicher sein, insbesondere für junge Menschen und Migrant:innen. Das könnte so aussehen, dass man die eigene selbstorganisierte Kneipe einen Tag in der Woche an eine FLINTA-, Jugend- oder (post-)migrantische Gruppe abgibt, damit sie einen Raum haben, um sich zu treffen und Veranstaltungen zu organisieren. In Berlin haben wir Hausbesetzungen, Bibliotheken, Gruppen und Organisationen, die seit Jahrzehnten Teil der Stadt sind, und sie sind ein entscheidender Punkt für die Entwicklung unserer kollektiven politischen Arbeit. Diese Arbeit wird behindert, wenn nur wenige Menschen Zugang zu diesen Ressourcen haben. Wir sollten leicht zugängliche, gemeinschaftsbasierte Aktivitäten und radikale Aktionen finden, die wenig repressionsänfällig sind (wie Küfa, Plakatieren, Adbusting, Guerilla Gardening usw.), um Menschen, die neu in der Szene sind, die Möglichkeit zu geben, sich zu vernetzen und Werkzeuge und Wissen zu teilen. Ich bin mir bewusst, dass diese Dinge bereits geschehen und dass es eine Menge Arbeit ist. Es kann schwierig und frustrierend sein, sich zu öffnen und sich um Neuankömmlinge oder junge Menschen zu kümmern, und viele von uns haben oft nicht die Energie, dies zusätzlich zu all der Arbeit zu tun, die wir bereits leisten. Aber das ist nichts, was wir vernachlässigen können. Machen wir uns nichts vor: Niemand wird sich für unsere nächste Demonstration oder radikale Aktion interessieren, wenn wir keine Leute mehr haben, die uns unterstützen und helfen. Das bedeutet auch, dass wir ein Gleichgewicht zwischen Zugänglichkeit und Sicherheit finden müssen. Einen Weg, Menschen hineinzulassen und Repression herauszuhalten.

Räume und Strukturen zu öffnen, bedeutet auch, die Ideen und Erfahrungen anderer Menschen zu respektieren, auch wenn sie vielleicht anders sind als das, was man bisher in der Szene gemacht hat. Ich war noch ein Teenager, als ich nach Berlin kam, und fühlte mich ständig degradiert und nicht ernst genommen, vor allem von älteren deutschen Aktivist:innen. Ich war zu jung, ein Ausländer, ich hatte keine Ahnung, wie die Dinge hier laufen, ich hatte nicht genug Erfahrung und war nicht gut vernetzt. Es stimmt, dass ich viel zu lernen hatte, aber ich hatte auch meine eigenen Ideen, Überzeugungen und Erfahrungen, die vielleicht nützlich gewesen wären, wenn man auf sie gehört hätte. Unsere Gesellschaft entwickelt sich ständig und schnell weiter, und wir brauchen neue Perspektiven, Ideen und Lösungen für aktuelle Probleme. Wenn wir so weitermachen wie vor 20 Jahren, sind Stagnation und Scheitern das Einzige, was wir davon haben werden.

Das bedeutet, dass wir der jüngeren Generation von Aktivist:innen, Neuankömmlingen, Migrant:innen und Ausländer:innen zuhören und ihnen Raum geben müssen, ihre Meinung zu äußern und sie in die Tat umzusetzen.

Gemeinschaft aufbauen, Widerstand aufbauen

Was wir jetzt in Berlin haben, ist keine Gemeinschaft, ist keine Bewegung, es ist eine Szene von verschiedenen Gruppen und Cliquen, die nur lose miteinander verbunden sind und oft allein handeln. Wenn wir den Angriffen des Staates und rechter Gruppen widerstehen und überleben wollen, müssen wir eine Gemeinschaft als Mittel zur Selbstverteidigung bilden. Der erste Schritt dazu wurde oben bereits beschrieben: Öffnet eure Räume. Aber das ist nicht genug. Wir müssen uns umeinander kümmern und mehr Zeit für gemeinschaftliche Aktivitäten aufwenden, die auch Menschen außerhalb unserer geschlossenen Kreise einbeziehen. Das bedeutet, dass wir uns von der coolen Haltung der Berliner Szene verabschieden und anfangen müssen, neue Menschen, Ideen und Erfahrungen zuzuhören und ihnen gegenüber Interesse zu zeigen. Es bedeutet, unseren Fokus zu verlagern und die Menschen einzubeziehen, die am meisten von staatlicher und rechter Gewalt betroffen sind: Obdachlose, (undokumentierte) Migrant:innen, Sexarbeiter:innen, schwarze Menschen, indigene Menschen und People-of-Colour, trans* und inter* Menschen, Flüchtlinge, Menschen aus der Arbeiter:innenklasse und so weiter. Es bedeutet, sich um die jüngere Generation zu kümmern, sie anzuleiten und ihnen Sachen beizubringen, anstatt sie ständig zu kritisieren und herabzusetzen. Es bedeutet, dass wir alle zusammenarbeiten und auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten, trotz der Unterschied unseres Alters, unserer sozialen und geographischer Herkunft und unserer Kultur.

Aufeinander aufzupassen bedeutet auch, Räume zu schaffen, die keine Täter:innen beherbergen und in denen diese Menschen keine Macht haben. Und wenn solche Menschen in unseren Strukturen sind, müssen wir sie zur Rechenschaft ziehen, ihnen helfen, sich zu bessern, und wenn sie sich weigern, ihr Verhalten zu ändern, sie schließlich rauswerfen. Egal, wie politisch wichtig oder wie gut vernetzt sie sind.

Care-Arbeit ist auch radikale Arbeit, und sie kann nicht nur von FLINTA Menschen geleistet werden. Wenn wir starke Bewegungen und Gemeinschaften aufbauen wollen, ist emotionale Arbeit notwendig, und sie sollte auch in der Verantwortung von cis Männern liegen. Also fangt an zu lernen.

Emanzipatorische Diskussionskultur aufbauen

Jeder weiß es: Linksradikale lieben es, sich zu streiten. Das ist Teil des nie endenden dialektischen Prozesses, in dem sich unsere Bewegungen entwickeln, und das ist nicht immer etwas Schlechtes. In den Jahren, die ich hier verbracht habe, habe ich eine Vielzahl hochpolarisierter politischer Debatten erlebt, die in einer Spaltung der gesamten Szene endeten. Metakonflikte wie der über den palästinensisch-israelischen Konflikt, Diskussionen über Rassismus, Kolonialismus und Antisemitismus, FLINTA Menschen und cis Männer, nationale Identität und staatsfeindliche Tendenzen, Meinungsverschiedenheiten über Reformismus und radikales Handeln und so weiter.

Diese Diskussionen, die wir führen, sind wichtig und entscheidend für die Entwicklung unseres politischen Bewusstseins, aber sie müssen auf eine Art und Weise geführt werden, die emanzipatorisch, nützlich, radikal und menschlich ist. Auf eine Art und Weise, die zeigt, dass wir die Welt und unsere eigenen Gemeinschaften wirklich verändern wollen, anstatt an einem Gefühl der ideologischen Reinheit oder Perfektion festzuhalten. Das bedeutet nicht, dass wir Rassist:innen, Antisemit:innen, Transfeinde, Sexist:innen, Ableist:innen oder andere diskriminierende Arschlöcher und Täter:innen tolerieren müssen (von mir aus könnt ihr ihnen die Zähne einschlagen). Es bedeutet, dass wir einen Weg finden müssen, diese Konflikte auf eine Art und Weise zu lösen, die sich darauf konzentriert, aktuelle Machtstrukturen, autoritäre Tendenzen und Diskriminierung infrage zu stellen, ohne sich ausschließlich auf Identität, Gruppenzugehörigkeit und ideologische Reinheit zu stützen. Ohne Menschen rauszuschmeißen, Lügen zu verbreiten oder sie auszugrenzen, um die eigene Gruppe zu verteidigen und zu zeigen, dass man besser ist als die anderen. Denn die Realität ist kompliziert, und letztlich sind wir alle auf das gleiche Ziel ausgerichtet: totale Befreiung.

Wir werden uns niemals wirklich befreien und emanzipieren, wenn wir weiterhin die Werkzeuge des Meisters wie Bestrafung, Ächtung, Rache, Diffamierung oder Tugendsignalisierung („virtue signaling”) verwenden. Wir müssen uns anspruchsvolleren, transformativen, antiautoritären und emanzipatorischen Methoden zuwenden, um mit Konflikten in unseren Gemeinschaften umzugehen, und damit Menschen zur Verantwortung ziehen.

Das bedeutet, dass wir Menschen nicht öffentlich beschimpfen oder mit Lügen und Gerüchten in den Dreck ziehen, nur weil sie eine etwas andere ideologische Haltung vertreten, und jede Gruppe verurteilen, die mit ihnen zusammenarbeitet, um sie politisch zu isolieren und uns selbst auf ein ideologisches Podest zu stellen und unsere politische Reinheit zu beweisen. Wir müssen populistische Methoden des Politikmachens ablehnen, Fake News in Frage stellen und nicht sofort halbgare Geschichten glauben, die von einigen Gruppen erzählt werden, nur weil wir bereits mit ihnen übereinstimmen. Und verdammt noch mal, wir müssen mit den Shitstorms in den sozialen Medien aufhören.

Wir müssen auch die konsumistische Einstellung hinterfragen, die wir oft gegenüber linksradikalen Veranstaltungen haben. Demonstrationen, Kundgebungen und Gemeinschaftsveranstaltungen sind kein Produkt, das man konsumiert und worüber sich dann beschwert, wenn es nicht den eigenen Ansprüchen genügt. Alles geschieht aufgrund unbezahlter freiwilliger Arbeit, und das müssen wir respektieren. Unsere Veranstaltungen werden nie perfekt sein, und konstruktive Kritik ist immer willkommen, insbesondere wenn etwas zum Ausschluss einer Gruppe von Menschen führt. Aber sich online zu beschweren und zu empören, ist oft nur ein Mittel, um Tugendsignalisierung („virtue signalling”) zu demonstrieren und die eigene politische Überlegenheit gegenüber anderen zu zeigen. Stattdessen sollten wir, wenn wir etwas sehen, das unserer Meinung nach verbessert werden könnte, direkt mit dem Organisationsteam sprechen, unsere Kritik erläutern und uns schließlich engagieren, wenn wir die Möglichkeit dazu haben.

Basisarbeit betreiben

So sehr es auch schmerzt, dies zuzugeben, müssen wir verstehen, dass wir uns derzeit eher in einer Phase der Organisierung als des Handelns befinden. Wir haben nicht die radikale Massenbewegung und Mobilisierung, die wir in den 60er und 70er Jahren oder sogar bis vor 20 Jahren hatten, zumindest nicht in der radikalen Linken. Wir erleben zur Zeit eine starke staatliche und polizeiliche Kontrolle und die Unfähigkeit, uns gegen ihre Angriffe zu wehren. Wir sagen immer, wir wollen unregierbar sein, aber wie erreichen wir das? Wie können wir unsere Sicherheit und die unserer Genoss:innen gewährleisten und gleichzeitig radikal und effektiv handeln?

Ich denke, eine Lösung könnte, wie bereits erwähnt, im Aufbau von Gemeinschaften liegen, im Austausch von Werkzeugen und Wissen, in der Öffnung unserer Räume und Strukturen, in der Organisierung nicht nur für uns selbst, sondern im Versuch, Menschen außerhalb unserer Szene zu erreichen. Wir müssen eine gemeinsame Grundlage für verschiedene politische Praktiken, zugängliche Strukturen und Gruppen schaffen, die eine Mobilisierung in größerem Maßstab ermöglichen. Wir müssen mehr Menschen das Wissen und die Ressourcen geben, um ihre eigenen Strukturen aufzubauen oder innerhalb der bereits bestehenden zu agieren. Sie in die Lage zu versetzen, radikale Aktionen auf die effektivste und sicherste Weise durchzuführen und das Wohlergehen der Menschen zu gewährleisten, die Teil dieser Organisationen sind. Dazu gehört auch Unterstützung und Beteiligung an allen verschiedenen Arten von lokalen Kämpfen und Vernetzung mit Menschen, die (noch) nicht radikal sind.

Ich muss zugeben, dass ich keine Ahnung habe, wie wir dorthin gelangen können, und dass dies in der Tat eine Menge Arbeit ist. Es klingt fast unmöglich, aber ich weiß, dass es in der Vergangenheit möglich war und deshalb sollte es auch heute möglich sein. Es kommt darauf an, wie wir unsere Prioritäten setzen und unsere Energien einsetzen. Lass uns auf Qualität statt auf Quantität setzen. Lass uns weniger tun, aber besser strukturiert und organisiert. Lass uns Dinge ausprobieren, Fehler machen und daraus lernen. Und uns dabei gegenseitig unterstützen.

Sei nachsichtig mit dir selbst und anderen

Ich weiß, dass es oft anstrengend und frustrierend ist, Teil der radikalen Linken zu sein. Viele von uns brennen aus bei dem Versuch, eine politische und gesellschaftliche Landschaft zu verändern, die einfach nur katastrophal aussieht. Ich verstehe, dass wir manchmal uns über Sachen auslassen müssen. Aber ständiges Meckern und Kritisieren zieht einen selbst und andere Menschen runter, gibt ihnen das Gefühl, nicht geschätzt zu werden, und führt dazu, dass sie das Gefühl haben, dass sie nie genug tun, egal was. Das führt dann zu Gefühlen der Hoffnungslosigkeit und Wut und kann schließlich dazu führen, dass man aufgibt oder verzweifelte und unsichere Maßnahmen ergreift.

Es stimmt, wir leben in schrecklichen Zeiten, aber es gibt keinen Grund für hoffnungslose und verzweifelte Aktionen. Du trägst nicht die Schuld am Scheitern der radikalen Linken auf deinen Schultern, und das tut auch sonst niemand. Und sich selbst auszubrennen wird unsere Probleme nicht lösen. Genauso wenig wie das ständige Meckern über den Zustand der Szene. Konzentrieren wir uns stattdessen auf den Wandel, den wir schon bewirken und vorbereiten können, und unterstützen wir Menschen, die unsere Ziele teilen. Und ja, natürlich kann man manchmal gemeinsam mit den eigenen Freund:innen meckern, aber, verdammt noch mal, hört endlich auf ständig Scheiße zu twittern.

Den Kreislauf durchbrechen

Der subtile Nationalismus und die deutsche Vorherrschaft innerhalb der radikalen linken Szene in Berlin verdrängen oft alle anderen Themen und Meinungen. Es geht auf die Idee zurück, dass nur diejenigen, die in der BRD aufgewachsen sind, ihn vollständig verstehen können, und ohne dieses vollständige Verständnis (insbesondere seiner nazi Vergangenheit!) sind Aktionen gegen ihn schlecht informiert. Wenn nicht-deutsche Meinungen immer an zweiter Stelle stehen, wie soll mensch es dann anders nennen als Nationalismus und Vorherrschaft?

Wenn dies eine der Ursachen für die Dysfunktionalität innerhalb der radikalen Linken in Berlin ist, wie können wir unser Verhalten ändern? Was können wir anders machen, um den Kreislauf zu durchbrechen, der Immigranten so oft von radikalen Strukturen und Kreisen ausschließt?

Der erste Schritt besteht darin, anzuerkennen, dass dies ein Faktor ist. Der eigene Antifaschismus könnte beinhalten, dass mensch gegen den deutschen Staat ist, und mensch könnte annehmen, dass dies antinationalistisch wäre. Aber wenn diese Position mit der Annahme verbunden ist, dass die BRD ein einzigartig böser Staat ist oder dass ein deutsches Verständnis erforderlich ist, um ihm zu begegnen, dann ist dieser Antinationalismus selbst zu einer Form des Nationalismus geworden. Migrant:innen, Flüchtlinge und sogar deutsche Staatsbürger mit einem familiären Hintergrund in Afrika, Westasien und anderen nicht „weißen” Orten (und manchmal sogar „weißen,” nicht deutschsprachigen Gebieten) sind die Hauptleidtragenden der Diskriminierung und Unterdrückung. Das einzigartige Wissen, über das diese Menschen verfügen, ist entscheidend, um dem Autoritarismus zu begegnen, und wir suchen nicht nach weißen/deutschen Rettern, die uns zur Utopie führen.

Die radikale Linke ist sich in einem gewissen akademischen Sinne darüber im Klaren, dass eine Bewegung, die von Weißen angeführt wird und bei der die Weißen an erster Stelle stehen, im Widerspruch zu den grundlegendsten Lehren des Sozialismus, des Anarchismus oder sogar des gewöhnlichen Feminismus und Antirassismus steht. Dies führt oft dazu, dass für Demos und Veranstaltungen Quoten-Sprecher—Migrant:innen, Queers, PoC, Frauen usw.—gesucht werden, um das Kollektiv, das die Veranstaltung durchführt, zu legitimieren. Ohne diese Quoten-Sprecher ist die Gruppe dem Vorwurf ausgesetzt, zu sehr cis/het/maskulin/weiß zu sein. Dies führt jedoch häufig dazu, dass nach Vielfalt gefischt wird, anstatt aus dem Kollektiv selbst oder den engen Verbindungen zwischen sozialen Gruppen zu schöpfen, die eigentlich bestehen sollten. Es gibt keine einfache Antwort darauf, wie mensch dies überwinden kann, aber jede Crew oder jedes Kollektiv sollte gründlich darüber nachdenken, warum sie so oft (fast) ausschließlich weiß oder deutsch sind. Warum arbeiten keine Gruppen von PoC oder Immigrant:innen mit euch zusammen? Was sind die Barrieren? Wie kann mensch sie einreißen und sich tatsächlich mit anderen Menschen mit unterschiedlichen Ideen auf eine Art und Weise auseinandersetzen, die keine Quotenfunktion hat?

Berlin befindet sich in einem Trott. Wir bauen keine neuen Strukturen auf, und die alten Strukturen bröckeln oder werden durch staatliche Gewalt beseitigt. Wir müssen neue Dinge ausprobieren. Sei mutig. Wir machen immer das Gleiche, und die Genoss:innen aus anderen Gebieten haben eine Fülle von Erfahrungen, Theorien und Taktiken, die uns allen nützen können. Die Deutschen wissen nicht, was das Beste für die BRD ist, und es ist an der Zeit, den Kreislauf zu durchbrechen und offenere und intersektionale Ansätze für die Organisierung zu finden.

Ein Weg zur Annäherung

Auch mein Großvater kämpfte auf Seite Deutschlands im Zweiten Weltkrieg. Das ist eine Tatsache, an der ich nichts ändern kann, so wie Millionen andere Deutsche nichts daran ändern können. Doch es muss mein Handeln nicht bestimmen. Ich darf mich nicht vor einer Auseinandersetzung der heutigen Situation drücken, weil die unveränderliche Vergangenheit auf mir lastet. Es hilft den Ermordeten von damals nicht, wenn ich nun vor der Wahrheit die Augen verschließe, und es hilft den jüdischen Menschen der Gegenwart eben so wenig. Human Rights Watch, B’Tselem, Amnesty International—wie viele weltweit anerkannte Menschenrechtsorganisationen müssen noch auf das unrechte System hinweisen, bevor die deutsche Linke bereit ist, zuzuhören? Wie lange noch muss das palästinensische Volk deutsche Schuldgefühle ausbaden?

Das ist es, was die Lösung ausmachen kann. Zuhören. Sogar derart ausgelutschte Klischees haben manchmal ihre Berechtigung. Wir müssen aufhören, Meinungen zu bilden, bevor wir Information gesammelt haben. Wir müssen anfangen, in einem Streit innerhalb der Community beiden Seiten zuzuhören und Anschuldigen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Es gibt sie, die abgrundtief Verlorenen, die Neonazis, die Menschen ihrer sexuellen Orientierung wegen verprügeln oder der Hautfarbe wegen ablehnen, aber in dieser Frage geht es nicht um sie. Es geht um die Wohlmeinenden, die versuchen, alles richtig zu machen, und die gewillt sind, respektvoll geäußerte Kritik aufzunehmen. Wir müssen aufhören, ehrliche Fehler, Unwissen oder abweichende Meinungen mit böser Absicht gleichzusetzen. Dazu müssen wir lernen, unser Ego zu beruhigen. Nicht jeder kann jeden Kampf kämpfen. Wir müssen lernen, unterschiedliche Einstellungen—innerhalb gewisser Rahmen natürlich—stehen zu lassen. Es ist weder sinn- noch respektvoll, die wegen ihres Flüchtlingsstatus unterdrückte Person auszuschließen, weil sie beim Discounter Fleisch kauft. Wir müssen die Bedeutung des Wortes Solidarität neu lernen. Wir müssen Menschen nach ihren Fehlern—die unweigerlich kommen werden, denn niemand kann perfekt sein—die Gelegenheit geben, es wiedergutzumachen. Wir müssen Kritik respektvoll äußern und ein Interesse daran haben, wie es zu dieser Verletzung kommen konnte, um zukünftige Verletzungen zu vermeiden.

Wir brauchen Gemeinschaft, doch wir wissen selten, wie man sie erschafft. Ein wichtiges erstes Moment ist, niemals von böser Absicht auszugehen, wenn Unwissenheit als Grund reicht. Wir müssen lernen, Menschen für ihre Taten zur Verantwortung zu ziehen, ohne ein Kriegsgericht auszurufen. Wir müssen aufhören, Oppression Olymics zu spielen. Individuelles Leid kann man nicht vergleichen. Jemand, der in zehn Zentimeter Wasser ertrinkt, ist genauso tot wie jemand, der in zehn Meter Wasser ertrinkt.

Zu strikte Grenzziehung schließt unweigerlich Menschen aus. Wie kann man sich hundertprozentig sicher zutrauen, Gruppenzugehörigkeit—zum Beispiel von queeren Menschen—erkennen zu können, ohne dadurch strikte Marker durchzusetzen? Manchmal kleide ich mich femme, manchmal masc. Verändert meine Kleidung meine inhärente Queerness? Wer bestimmt das? Wenn wir wirklich inklusive Orte erschaffen wollen, müssen wir alle mitdenken. Wer einen nur BIPoc-Raum erschaffen will, muss auch hellhäutige BIPoCs anhören. FLINTA-Räume müssen auch cis-passing Transmännern Schutz bieten. Mir ist es lieber, wenn mal ein Cis-Mann einen FLINTA-Raum betritt, als dass maskulin auftretende nichtbinäre oder trans Menschen um ihren Zugang fürchten müssen.

Eine Methode, mit Verletzungen und Fehlern umzugehen, bietet Restorative Gerechtigkeit. Dieses Modell fokussiert sich darauf, entstandene Schäden zu reparieren, und basiert darauf, dass wir als Gemeinschaft miteinander verwoben sind. Es wird auf die gemeinschaftliche Dimension von Verletzungen geachtet—woran können wir arbeiten, um Vergangenes wiedergutzumachen und zukünftige Verletzungen zu vermeiden? Wie können wir ein System schaffen, was nicht die eine Lösung für komplexe Probleme sucht, sondern verschiedenen Menschen verschiedene Lösungen bieten kann?

Viele marginalisierte Personen erleben häufige Traumata, die dann in einer vermeintlich sicheren Atmosphäre wie einer linken Gruppierung bei kleinsten Verletzungen große Wellen schlagen können. Oft habe ich schon gesehen, dass die verletzende Person dem gesamten unterdrückerischen System gleichgemacht wird, weil die Handlungen ähnliche Verletzungen reproduzieren. Doch ist das selten die Absicht, und auch die verletzende Person ist als Mitglied marginalisierter Gruppen Traumata ausgesetzt. Wir müssen die Handlungen und Beweggründe der verletzenden Person empathisch verstehen wollen, ohne das mit einer Schuldfreisprechung gleichzusetzen.

Wie können wir Konflikte hinter uns lassen? Wir müssen gewillt sein, Menschen Veränderung zuzugestehen. Wir müssen nicht nur persönliches Wachstum verlangen, sondern ihm auch die Chance geben.

Wir sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht. Wir müssen aufhören, uns in kleinen Konflikten zu verzetteln und dabei die große, gesellschaftliche Bewegung aus dem Blick zu verlieren. Wir müssen verstehen, dass man übergreifende Strukturen nicht auf einzelne Menschen übertragen kann. Wenn ab morgen alle Menschen vegan essen würden, wären immer noch zwanzig Konzerne für 35% der Treibhausgasemissionen verantwortlich.

Vielfalt ohne Unterschiedlichkeit ist keine. Wir müssen wieder lernen, sie auszuhalten. Vielleicht können wir sie irgendwann einmal sogar feiern.

Nach

Wahrscheinlich gibt es hier nichts, was du nicht schon gehört habst. Vielleicht im Vorbeigehen, vielleicht online. Vielleicht hat jemand aufgehört, zu den Treffen deiner Gruppe zu kommen, oder jemand kam zu deiner Veranstaltung, kehrte nicht zurück und du hast es gar nicht bemerkt. Dinge, die laut ausgesprochen oder online gepostet werden, können flüchtig sein, aber mit diesen Worten, die etwas sorgfältiger geschrieben wurden, kannst du hoffentlich etwas von dem sehen, was wir durchgemacht haben.

Das waren keine akademischen Kritiken, keine allumfassenden Aussagen, die alles, was wir erlebt haben, erhellen und klären. Es sind einfach Geschichten, Erfahrungen und Hoffnungen.

Wohin wir als Bewegung von hier aus gehen, liegt natürlich an uns und nur an uns. Wir können so weitermachen wie bisher, oder wir können Wege finden, die Dinge ein wenig mehr auf andere Meinungen und andere Vorgehensweisen auszurichten. Wir können fließend statt statisch sein. Wir können fortschrittlich sein, statt konservativ und in unseren alten Gewohnheiten verhaftet.

Berlin hat uns verletzt, aber ein anderes Berlin ist möglich.